Jörg über Kunst

Jörg Faak über seine Kunst und über Kunst

Prolog

Als 14-Jähriger richtete ich eines Nachts mein, mir zum Geburtstag geschenktes, Teleskop auf den Sternenhimmel. Das führte mir schlagartig zwei stärkste Empfindungen hell ins Bewusstsein:

  1. das Gefühl so unglaublich klein und unbedeutend zu sein, angesichts der Unendlichkeit, die ich fühlte, in der ich aufgehoben und gleichzeitig verloren schien.
  2. ein tiefes Erstaunen, das sich als Fragen in etwa folgender Weise ausdrücken lässt: Was in mir hat die Größe und Bedeutsamkeit, gerade das zu fühlen und sich dessen hell bewusst zu sein? Welch ein erstaunliches Wesen muss ich sein, dies so empfinden zu können?

Diese Fragen, mit ihren dazugehörigen gefühls- und empfindungsmässigen Antworten, haben mich seitdem niemals mehr verlassen und durchziehen mein Leben wie ein roter Faden.

 

  1. Meine Malerei: Ein Ort der Begegnung

Malerei, wie ich sie sehe: Sie will nicht primär gefallen (obwohl dagegen selbstverständlich nichts spricht). Sie will verstanden und erlebt werden. Sie sucht den echten Kontakt. Die Begegnung von Mensch zu Mensch, keinen oberflächlichen Effekt!

In Wirklichkeit gehören Wahrheit und Schönheit immer zusammen. Als Maler bin ich mehr Entdecker als Erfinder. Ich male das, was ich objektiv in mir erlebe und vorfinde, und stelle es dar mit den Mitteln, die ich zu handhaben gelernt habe. Ich bin mehr mit dem Empfangen beschäftigt als mit dem Unterwerfen des Materials durch meinen schaffenden Egowillen. Der ist sekundär. Primär ist die Öffnung zum Geistigen. Einem Geistigen, das wir in unserem Seelischen wahrnehmen können. Darin drückt sich für mich ein tieferer essentieller Wille aus.

Wenn meine Malerei eine Botschaft hat, ist es die: Die Sehnsucht nach einer echten Begegnung zwischen Künstler und Betrachter. Als Medium dient das Bild. Das Bild transportiert das innere Erleben, das den Maler bestimmt und das er bewusst aufsucht. Tag um Tag, Woche um Woche. Es ist eine Art „Positionierung“ des inneren Erlebens. Es ist mehr wie das Malen „vergangener Generationen“, von Malern vor der Moderne. Weil die Heutigen sich so oft entfernt haben von dem, was ich „den Ursprung“ nenne, von dem, was Kunst immer war und sein wird (zumindest sein sollte, meiner Meinung nach): Tief berührend uns Menschen. Uns in unserem weiten offenen Verstand und offenem Herzen ansprechend und begegnend.

Kunst war durch die Jahrhunderte hindurch immer in diesem Sinne „ursprünglich“ berührend. Wir selbst fühlen in uns dieselbe Wahrheit, die der Künstler erfahren hat. Es ist und bleibt eine uns alle verbindende tiefe Erfahrung unserer selbst, die kein Geheimnis ist, weil wir alle als Menschen dieses Geheimnis in uns tragen und fähig sind, es zu leben und zur Blüte zu bringen. Wir erleben in uns als Betrachter das, was der Künstler erlebt hat, und ins Bild gebracht hat. Wir sind es selbst (auch wenn die Wenigsten von uns dies wirklich so empfinden und tun).

(Das meinte Joseph Beuys damit, als er sagte, dass alle Menschen Künstler sind. In diesem Sinne und nicht irgendwie anders, erst recht nicht, wollte er damit sagen, dass jedes primitive Zeugnis eines unserer Zeitgenossen schon Kunst ist, weil er ja per definitionem Künstler ist und alles, was er somit hervorbringt oder auch nicht hervorbringt, Kunst ist. Das ist meiner Meinung nach eine Falschauslegung der Beuys’schen Aussage und war niemals von ihm so gemeint).

Als Maler legt man es darauf an, sein inneres Erleben den anderen im Bilde sichtbar zu machen. Es anderen zu ermöglichen, als gleichzeitige innere Erfahrung und Erleben, Anteil zu nehmen, an ein und derselben inneren Realität wie der Künstler selbst: Objektiv, unumstößlich, gewiss. Ohne Zweifel erhaben. Wir berühren das Heiligste. Drücken es aus. Stellen es dar. Wir Künstler wollen es nicht nur fühlen, wir wollen es auch ausdrücken. Wir wollen das Unmögliche. Etwas Unbegrenzt-Unendliches sich im Endlichen ausdrücken zu lassen. Wir sind die Hebammen dieser Erfahrung in uns selbst, und dann für den Prozess der Projektion. Das ist nicht Romantisierung des schöpferischen Prozesses, das sind die Tatsachen, die man innerlich erleben kann.

Meine Malerei bietet keine „Lösung“ auf die vielen Probleme unserer Zeit. Aber sie will ehrlich sein. Essentiell. Präsent und das Wahrhaftige darstellend, in all den vielen Themen und Formen, in denen es sich offenbart. Als Künstler muss man diese Ehrlichkeit haben. Den Mut seinen Weg zu gehen, auch wenn keiner da ist, der einen begleitet. Man muss als Psychonaut auf seiner Reise nach Innen sein, Kostbarstes und Fragilstes mitteilen, auf dieser Silberschnur des Herzens, die immer auf ehrliche Begegnung aus ist und das als das Allerwichtigste empfindet, was wir zu sagen haben und was wir sind als Menschen: Leuchtende Wesen, offen und unerschöpflich.

 

  1. Kunst allgemein

Warum hat die Kunst allgemein sich oft so weit entfernt vom „Ursprung“? Was war „der Ursprung“?

Die Wahrheit über die äußere Welt, in sich selbst zu erfahren und dieser Erfahrung lebendigen Ausdruck zu verleihen. Wenn der Künstler nach der Wahrheit eines historischen Ereignisses suchte, fand er die Antwort immer in sich und suchte sie auch in sich.

Als Vision, als Eingebung, empfangend und das Empfangene darstellend mit seinem Handwerk, das er gelernt hat. Was zusammen kam war der sinnliche Eindruck und das geistige Ereignis in der eigenen Seele.

In Wahrheit hat sich das niemals geändert. Das größte Ereignis der Kunst, damals wie heute ist die wirkliche Begegnung, zweier lebendiger Menschen, von Herz zu Herz, dass sie einander geistig berühren und ein und dieselbe Wirklichkeit objektiv miteinander schmecken, teilen und ihre 1000-faltigen Ansichten begeisternd feiern und genießen. Immer aufs Neue.

Dazu sollte die Kunst die Nähe suchen zu den Menschen. Sie sollte den Menschen dort aufsuchen und berühren wollen, dort, wo er am wenigsten mit ihr rechnet und am wenigsten sie fühlt: Im Alltag, im Beruf, am Arbeitsplatz, in der ganzen Hektik und Hetze des Alltagslebens. Er fühlt sie ja nicht mehr, weil er sich selbst dort nicht mehr fühlt.

 

  1. Meine Vision:

Eine Zukunft für die Malerei oder eine Malerei der Zukunft:

* Eine Malerei, die den Raum zu schaffen vermag, für die Begegnung, den echten Kontakt zwischen uns Menschen für uns Menschen, und wenn es nur ein Spalt ist, durch den das Licht unseres gemeinsamen „Ursprungs“ fällt.

* Eine Malerei, die ihre und des Künstlers Isolation überwindet, indem sie den Menschen sucht und ihn findet, inmitten des Lebens, um unseres gemeinsamen „Ursprungs“ willen, der ihr einen Erneuerungsimpuls verleiht und sie werden lässt, was sie immer schon war: Eine Bereicherung unserer Erlebensweise.

* Eine Malerei, die über diejenigen Grenzen geht, die wir uns selber geschaffen haben in einem System, das uns zur Eigenständigkeit und Freiheit des Individuums geführt hat und sich mittlerweile pathologisch verselbständigt und ins Egomanische umschlägt, und damit ins Selbstzerstörerische, weltweit.

* Eine Malerei, die Anteil nimmt an unserem Leben, weil sie uns zu berühren vermag, dort. Die uns fühlen lässt, was wir verloren glaubten.

* Eine Malerei, die die Mauern von Museen und Galerien sprengt, nicht durch spektakuläre Auftritte, sondern durch eine Ruhe und Authentizität des schaffenden Künstlers, der die Herzessenz von uns selbst präsent sein lässt. Diese Herzessenz, dieses „Herzjuwel“ (tibetischer Buddhismus) erfährt seine Darstellung auf die mannigfaltigste Art und Weise und lässt sich nicht irgendwie begrenzen. Aber der Geschmack hiervon ist immer wahrhaftig ein- und derselbe Geschmack, an dem wir Es erkennen und damit uns selber.

* Eine Malerei, die uns erinnert daran, wer und was wir wirklich sind: Menschen, von Sehnsucht beseelt.

* Eine Malerei, die sich zu erneuern sucht in der echten und unspektakulären Begegnung von uns Menschen, für uns Menschen.

Die Malerei hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich im Ursprung befindet und sich mit demselben stärkt und identifiziert. Wenn sie wieder das „Heilige“ feiert und diese Feier mit uns Menschen zu teilen vermag. Wenn sie eine Begeisterung, Wärme, Betroffenheit und Stärke ausstrahlt, die unsere Herzen berührt und entfacht und wir uns im Augenblick der Betrachtung des Kunstwerks uns selber finden: Ein mystischer Moment.

An diese Mystik muss die Kunst der Zukunft reichen, ansonsten wird sie als sinnstiftendes Handwerk aussterben und nur noch Spuren hinterlassen, deren alle Lebendigkeit des „Ursprungs“ mangelt. Dazu muss sie die Nähe des Menschen aktiv suchen. Sie muss sich weiten und öffnen und neue Wege gehen und finden.

 

Begegnung der Kunst mit den Menschen an ihrem Arbeitsplatz:

Heilig ist die Arbeit eines jeden Menschen. Also muss die Kunst an die Arbeitsstätte des arbeitenden Menschen, weil auch dort das Heilige ist, wo der Mensch am meisten selbst entfremdet ist. Das ist die Vision.

Gerade dort, am Arbeitsplatz, wo die Menschen heute ihr „Heiligstes“, die Nähe zu sich selbst, oft kaum mehr fühlen können und vielleicht gerade deshalb großen „Durst“ danach empfinden, könnten sie diesem doch so nahe sein, wenn eine Begegnung stattfinden würde. Diese herzustellen, sehe ich als die Aufgabe des Künstlers und einer Malerei der Zukunft an. Dort an der Begegnungsstätte der Arbeit, könnte sich Heiligstes und Selbstentfremdetes im arbeitenden Menschen begegnen. Dort auf dichtestem Raum, wo die Zeit so kostbar ist, weil keiner welche hat, könnten Menschen von dieser Begegnung einen Teil ihres „seelischen-geistigen Durstes“ stillen. Gänzlich unerwartet. Unvorbereitet. Unspektakulär. Durch und durch ehrlich. Im echten Kontakt.

Auf diese Weise stelle ich mir die Erneuerung und „Wiedergeburt“ der Kunst allgemein vor. Dies ist meine Vision der Malerei und ihrer Aufgabe für die Menschen in der Zukunft: Eine Malerei, die vom inneren „Ursprung“ weiß, und die den Menschen so begegnet, dass Wertschätzung für diese Erfahrung entsteht (der „Durst“ gestillt wird), auch an ganz alltäglichen Orten und ebensolchen Zeiten.

Mit Sicherheit würde die Begeisterung für Kunst auf diese Weise wieder aufflammen!

Und die Kunst wäre dadurch erneuert, tief gegründet, durch eine ehrliche Begeisterung, die so menschlich ist.

 

Epilog

Wenn alles neblig ist und die klare weite Sicht behindert, diffus und konturlos, ja indifferent und verunsichernd die Welt uns entgegen wirkt und die Blicke auf uns selber lenkt, dann hebt sich etwas ab, was immer da war: z.B. ein Spinnennetz, in dem sich Tautropfen, Tausende, niederschlagen und sichtbar machen, was vorher in der Hetze des Alltags, kostbar, aber verborgen, fragil, aber aufs Höchste empfindsam und real, übersehen wurde, weil man seine Blicke auf die äußeren Dinge lenkte. Dieses Netz ist der „Ursprung“. Dieses Netz ist unser Halt.

 

Im „Dzogchen“ (häufig als die vollendete Praxis der Geheimlehren Tibets bezeichnet), heißt es über die Wahrheit:

 

Sie ist so nah, dass wir sie übersehen.
Sie wirkt zu schön, um wahr zu sein, also können wir sie nicht glauben.
Sie ist zu tief, als dass wir sie ergründen könnten.
Sie ist nicht außerhalb unserer selbst, also können wir sie uns nicht aneignen.